Bericht: Hamburger Einzelmeisterschaft 2023

Zwar mit kurzfristiger Ausschreibung, aber dennoch mit großem Teilnehmerfeld wurde dieses Jahr endlich wieder eine „richtige“ HEM ausgerichtet. Gerade für Nicht-Berufstätige ist die HEM in der Pfingstwoche ein attraktives Turnier, aber da die Partien an den Werktagen erst um 17 Uhr starten, können auch Leute wie ich mitspielen. Das Teilnehmerfeld zeigt jedoch deutlich einen demografischen Trend, den Hauke Reddmann treffend zusammengefasst hat: „1/3 der Teilnehmer ist vom HSK; 1/3 der Teilnehmer ist U20; und 1/3 der Teilnehmer ist Ü60.“

Vom TV Fischbek waren David Serrer und ich selbst dabei. David wurde in die Kandidatengruppe einsortiert, d.h. das zweithöchste Feld, während ich in der Meisterklasse spielte. Diese bestand dieses Jahr allerdings nur aus 10 Spielern und einem Rundenturnier statt, wie früher, 20 Spielern und 9 Runden Schweizer System. In der Spitze waren aber gute Leute dabei: IM Malte Colpe, Arne Bracker und Hauke Reddmann.

Gespielt wurde in der Mensa der Schule Alter Teichweg, wo etwas zuvor auch schon die Endrunde der Landesliga ausgetragen wurde. Die Meistergruppe spielte hierbei etwas versteckt zwischen Bühne und Pflanzenkübeln. Die Konsequenz daraus zeigte sich gleich beim Start: Von uns Meisterklasse-Spielern hatte keiner mehr im Kopf, welcher Bedenkzeitmodus genau verwendet wird — 90min + 30s/Zug für die ersten 40 Züge, ja, aber wieviel Zeit kommt nach dem vierzigsten dazu? Die Rede des Schiedsrichters Hugo Schulz war in unserer Ecke nicht gut zu verstehen, aber wir haben die Partien dann einfach unwissend begonnen.

Bei mir hat sich das Unwissen über die Gutschrift nach der Zeitkontrolle zu einer Art running gag im Turnier entwickelt: alle meine Partien endeten in 40 Züge oder weniger — mit einer einzigen Ausnahme, in der mein Gegner direkt nach meinem 41. Zug aufgab und ich ebenfalls nicht mehr erfahren habe, wieviel Zeit ich dazubekommen hätte. Meine Vermutung ist +30min, aber ich habe nicht nachgeschaut.

Sowohl David als auch ich starteten gut ins Turnier und begannen Runde 4 mit 3/3 Punkten (David) bzw. 2,5/3 Punkten (ich; der halbe Punkt war ein wildes Remis gegen Hauke Reddmann, wo man das „wild“ kaum dazusagen muss). Runde 4 lief dann aber nicht gut für uns: David verlor an Brett 1 gegen Elias Mandelkow, der damit mit 4/4 das Feld anführte; und ich verlor mit nur einer überschaubaren Menge Gegenwehr gegen IM Malte Colpe. Passiert.

Bei mir standen für Runde 5 und 6 zwei weitere Gegner aus der unteren Setzlistenhälfte auf dem Programm. Ich konnte beide Partien gewinnen und damit 4/4 gegen die hinter mir gesetzten Spieler absichern. Hier eine kleine Aufgabe aus der Partie gegen Jamshid Atri in Runde 6:

Jakob Kneip – Jamshid Atri
Schwarz hat gerade mit 21…Ld5 versucht, den Sd6 vom Rest meiner Figuren abzuschneiden. Das geht aber nicht gut aus: Weiß am Zug gewinnt. (Auflösung am Ende.)

David musste in Runde 5 eine weitere Niederlage einstecken, drehte dann aber voll auf und gewann in Runde 6, in Runde 7, in Runde 8 und… fast in Runde 9. Hier ein Ausschnitt aus dem Sieg in Runde 7 gegen Alexander Fomenkov:

David Serrer – Alexander Fomenkov
Schwarz möchte mit …fxe5 den d6 schwächen und einsammeln. David spielte hier das starke 20.Sd4!, was die positionelle Drohung f2-f4 aufstellt. Schwarz kann eigentlich nur 20…fxe5 ernsthaft probieren, aber wie genau gewinnt Weiß das eigentlich? (Auflösung am Ende.)

Mein Restprogramm hingegen sah in Runde 7 und 8 die anderen beiden 2100er im Feld vor und dann zum Abschluss eine Schwarzpartie gegen Arne Bracker in Runde 9. Nach einem Remis in Runde 7 ging es dann für mich in Runde 8 mit Weiß gegen Robin Keyser richtig schief:

Jakob Kneip – Robin Keyser
Weiß hat gerade mit 15.h3 vorbereitet den Springer von f5 zu vertreiben. Leider verliert h3 quasi auf der Stelle, was Robin in unter zwei Minuten gefunden und gespielt hat (und ich in 15min Nachdenken für h3 nicht). Also, Schwarz am Zug, was tun? (Auflösung am Ende.)

Nach der Niederlage war dann für mich als „Erholungspartie“ in Runde 9 eine Schwarzpartie gegen Arne Bracker vorgesehen. Diese war denn auch ein ziemlich erholsames Remis, wobei auch die Turniersituation eine Rolle spielte: Arne hatte nämlich in Runde 8 gegen Malte Colpe Remis gehalten und damit genug Punkte, um mit einem Remis gegen mich Hamburger Meister zu werden. Glückwunsch an Arne an dieser Stelle!
Mein eigenes Turnier ging damit mit 5,5/9 zuende, was ein solides, insgesamt erfreuliches Ergebnis ist. In ein, zwei Partien wäre vielleicht mehr drin gewesen, aber es wäre auch in zwei, drei Partien weniger möglich gewesen — insofern passt das Ergebnis schon. Und es haben eigentlich alle Partien Spaß gemacht, was ja auch wichtig ist.

David hatte nach seinem Endspurt zu Beginn der neunten Runde einen halben Punkt Vorsprung auf das Feld. Falls am Nachbarbrett Elias Mandelkow nicht gewinnen sollte, würde David ein Remis zum Sieg reichen. Dementsprechend wurde dann der Balanceakt versucht, in der eigenen Partie kein großes Risiko einzugehen, wohl aber Gewinnchancen aufrechtzuerhalten und dabei die ganze Zeit über das Brett 2 im Auge zu behalten. Nach einer gewissen Zeit stand dann fest, dass Elias nicht gewinnen würde, also ein halber Punkt genug wäre für David. Das einzige Problem: die eigene Stellung war schon so gut, dass eigentlich ein voller Punkt angebracht wäre. In der Zeitnotphase vor dem 40. Zug (Wieviel kriegt man nochmal dazu? Keine Ahnung.) wurde es dann doch nochmal unübersichtlich, und David entschied sich, strategisch klug im 40. Zug Remis anzubieten, bevor der Gegner die nötige Bedenkzeit hatte, darüber allzu viel nachzudenken. Das Angebot wurde akzeptiert — und David Gewinner der Kandidatenklasse mit 6,5/9 Punkten. Herzlichen Glückwunsch!

Damit stand nur noch die Siegerehrung an, und auch die ging glatt über die Bühne. Ich hoffe, dass im kommenden Jahr das Teilnehmerfeld der HEM noch weiter anwächst und wir wieder das Prä-Pandemie-Niveau erreichen können.

Sieger in der Kandidatenklasse: David Serrer mit 6,5/9
Quelle: Hamburger Schachverband / Klaus-Jürgen Herlan

Lösungen zu den Aufgaben
Kneip – Atri: 22. Dc2! stellt eine doppelte Drohung auf. Es droht nicht nur plump Matt über h7, sondern es wird auch der Sc5 gefesselt, welcher danach mit b2-b4 abgeholt werden kann. Schwarz kann auch nicht mit 22…Lxd6 entkommen wegen Txd5 exd5 exd6 Dxd6 (sonst ist wieder Matt) Dh7+ Kf8 Dh8+ und der Turm auf a8 ist ungedeckt. Idealerweise überprüft man noch, ob nach Ke7 Dxa8 der Zug Df4 den Läufer auf b1 einkassiert, aber den rettet sowohl das ulkige Lh7 als auch das direktere Da7+ nebst Dxb6.
In der Partie kam 22.Dc2 g6, wonach ich mir fünf Minuten Zeit gegeben habe, zu überprüfen, ob Txd5 exd5 Sxf7 forciert Matt ist. Das ist tatsächlich Matt, was ich aber in dem Zeitfenster nicht abschließend ausrechnen konnte und daher nach Ablauf der Frist b2-b4 gespielt habe.

Serrer – Fomenkov: Nach 20.Sd4 fxe5 gewinnt 21.Sxc6! bxc6 22.Tb1 mit Eindringen der Türme. Wenn Schwarz T1b7 erlaubt (z.B. mit Txd6) fällt die gesamte siebte Reihe; aber der Partiezug 22…Tab8 scheitert direkt an 23.Txb8 Txb8 24.d7 und der Bauer ist durch. Was hingegen nicht gewinnt ist 21.Sxe6, was erstmal verlockend aussieht. Aber hier hat Schwarz das furchtlose 21…Txd6!. Weiß kann den g7 nicht mit dem Springer nehmen, denn dann macht Schwarz Tad8 und erlegt den weißen König. Also 22.Txg7+ Kh8 und jetzt ist leider 23.Te7 erzwungen, wonach alles mögliche für Schwarz okay ist, u.A. 23…Td7.

Kneip – Keyser: Der elegente Rückzug 15…Dd8! ist fies. Es droht sowohl 16…Scd4 mit Verlust des Bauerns auf c2 als auch 16…Dh4+ nebst Einstieg auf g3. Weiß kann nur eines von beiden verhindern, aber die jeweils andere Drohung wird wahrscheinlich die Partie entscheiden. Der Computer sieht für Weiß sogar noch Überlebenschancen mit 16.Dd3 Dh4+ 17.Kd1 Sg3 18.Tg1, was fürchterlich aussieht, aber angeblich nicht konkret verliert. Schwarz hat aber die Wahl zwischen Sxf1 gefolgt von Txg2, oder dem Eindringen des anderen Turms mit Sa5 nebst La4 und _xc2. In der Partie habe ich nicht lange überlebt.

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