HSK XI vs. Fischbek I 1,5:6,5 (Extended Edition!)

Es gibt Mannschaftskämpfe, da läuft es einfach. Gestern war wieder so ein Tag. Gegen den nach eigenem Selbstverständnis größten, besten und ältesten Verein Hamburgs gewannen wir, nach anfänglichem Stotterstart, recht souverän mit 6,5 zu 1,5!

Die größten Schwierigkeiten entwickelten sich im Vorfeld des Mannschaftskampfs. Christoph Serrer, Thomas Peters und Knud Schulenburg standen leider nicht zur Verfügung und auch unser Mannschaftsführer Denis Schermer signalisierte bereits seine urlaubsbedingte Abwesenheit. Hinzu kam, dass unser Gegner in der vorhergehenden Runde mit seinem 6:2-Sieg über Marmstorf II ein deutliches Lebenszeichen von sich gab.

Über dem rosaroten Fischbeker Himmel zogen bereits dunkle Wolken auf. Es musste also etwas geschehen – und so geschah es dann auch. Denis unterbrach seinen Urlaub, verzichtete auf Kinder-Disko und Familienbespaßung bei Halbpension und düste rund 400 Kilometer Richtung Hamburg, um "seinen" Platz mit der Nummer 1 einzunehmen. Weil auch Klaus Düwel dankenswerterweise wieder mitwirkte, konnten wir zumindest vollständig gegen den HSK auflaufen, was zwei Runden zuvor gegen die zehnte Mannschaft des selben Vereins noch nicht gelang.

Klaus war es denn auch, der für die erste Entscheidung des Abends sorgte. Leider schaffte er es nicht, aus seiner recht aussichtsreichen Stellung etwas herauszuschlagen und wurde nach einer Ungenauigkeit im Mittelspiel im Bauernendspiel überlaufen. Kurze Zeit später gab es dann den ersten Teilerfolg zu vermelden. Peter Schausten einigte sich nach einem turbulenten Spielverlauf auf Remis, obwohl die Endstellung durchaus noch etwas Potenzial zum Weiterspielen bot.

Den Ausgleichstreffer besorgte "Mister 100 %" Nikolas Egelriede, der jedoch diesmal offensichtlich von einem Patzer des Gegners profitierte. Endgültig auf die Gewinnerstraße brachte uns Denis, der dieses Mal auffallend zügig spielte. Kein Wunder, denn er wollte möglichst schnell seinen unterbrochenen Urlaub fortsetzen und drückte mir das Szepter in die Hand, um wieder Richtung Fulda zu entschwinden.

Nachdem ich meinen Gegner endgültig in das Reich der Träume geschickt hatte, oblag es Philip Reichhardt, den doppelten Punktgewinn amtlich zu machen. Es war schon kurios, in einer bereits weit fortschrittenen Mittelspielstellung immer noch acht schwarze Reichhardt'sche Bauern auf dem Brett auszumachen. Der schwarze Mongolensturm erwies sich als unparierbar und der Führer der weißen Steine hisste die weiße Fahne.

Der Zwischenstand lautete also 4,5:1,5 für uns, es war kurz vor 23.00 Uhr, und alle Anwesenden gingen von einem raschen Ende des Mannschaftskampfs aus. Diese Rechnung sollte nicht aufgehen. Matthias Luckhardt konnte seinen fulminanten, nach erster Prüfung der kritischen Stellung aber bei richtiger Verteidigung eher dem Weißen zum Vorteil verhelfenden Angriff gegen den vollkommen entblößten weißen König (noch) nicht in einen vollen Punkt ummünzen. Sämtliche weißen Bauern auf dem Königsflügel befanden sich bereits im Nirwana und der Sieg schien nur eine Frage der Zeit zusein. Allerdings drohte der Angriff nach einem Fehler in Zeitnot kurz vor dem 40. Zug komplett zu versanden, so dass die Partie Remis hätte enden sollen, aber auch Matthias' Gegner sah mit nur wenigen Minuten auf der Uhr Gespenster. Matthias zeigte danach dann Kämpferqualitäten à la Magnus Carlsen, nutzte die ihm angebotenen Chancen und presste aus dieser Stellung doch einen vollen Punkt hervor.

Ähnliches lässt sich auch über das Spiel von Jakob Kneip sagen. Zwar hatte er zwischenzeitlich sogar drei (!) Mehrbauern im Turm- / Läuferendspiel, aber da es sich um verschiedenfarbige Läufer handelte, war die Remisbandbreite latent immer vorhanden. In beiderseits höchster Zeitnot, mit nur noch zwanzig Sekunden auf der Uhr, schaffte es Jakob, seinem Gegner einen Turm abzuluchsen, den dieser jedoch einzügig eingestellt hatte. Objektiv war Jakobs Partie natürlich schon längst gewonnen, aber so lange sich theoretisch genügend Material auf den Brett befand, hätte Jakobs Kontrahent auf zeit gewinnen können. Wie auch immer – Jakob schaffte es einmal mehr, den Adrenalinpegel seiner Mitstreiter in die Höhe zu pushen, um am Ende doch noch das Maximale herauszuholen.

Nachtrag (von Matthias Luckhardt)

Am Rande des Mannschaftskampfes gab es im Vereinslokal des HSK, in dem vier Mannschaftskämpfe gleichzeitig stattfanden, das eine oder andere "Kleinod" zu bewundern, wobei jedes für sich schon sinnbildlich für die Besonderheit des Schachspielers an sich sein und jedem "normalen" Menschen als Beispiel reichen würde, mit einem halb gönnerhaften, halb bedauernden Lächeln und der Bemerkung "Ach ja, diese Klötzenschieber!" wissend abzuwinken:

Fast schon nicht mehr erwähnenswert war der HSK-ler, der laut und ausdauernd an seinem Brett Erdnüsse verspeiste und vermutlich nicht im Traum darauf gekommen wäre, das an seinem Tun auch nur irgendetwas ungewöhnlich oder bemerkenswert gewesen wäre.

Locker getoppt wurde das von seinem Nebenmann, der Körper und Geist durch die Aufnahme von Wasser aus einer 0,5 l-Plastikflasche zu erfrischen suchte. Doch benetzte dieser Schachfreund nicht nur Lippen und Kehle, auch die schmucke Oberbekleidung wurde von einem Rinnsal Wasser befeuchtet. Sicher würde er sich dessen umgehend bewusst werden, aber nein, er setzte die Flasche ab, hielt kurz inne, setzte dann erneut an und aus dem Rinnsal wurde fast schon ein Bach! Trotzdem: keine Reaktion. Kurz danach muss es ihm dann aufgefallen sein, oder (wahrscheinlicher) er wurde von einem noch nicht im Wachkoma befindlichen Mannschaftskollegen darauf aufmerksam gemacht, denn als ich das nächste Mal aufblickte, war kein See mehr zu sehen. Andreas und ich tauschten derweil vielsagende Blicke aus.

Und dann war da noch der Schachfreund einer Königsspringer-Mannschaft aus der Kreisliga, der sich urplötzlich ohne erkennbaren Anlass laut und vernehmlich beschwerte, ob man "das" denn nicht mal leiser machen könne, das sei ja absolut unverschämt, jedes Mal wieder käme das vor. Der werte Schachfreund schob dann noch nach, vermutlich um den konsternierten Blicken der anderen Schachfreunde so etwas wie den Eindruck geistiger Unversehrtheit entgegenzusetzen: "Ich war früher Musiker! Ich höre das!"