Irgendeine Erinnerung prägt im nachhinein immer den Eindruck eines Schachturniers. Tolle Ergebnisse oder katastrophale Leistungen bleiben lange im Gedächtnis hängen und eignen sich noch jahrelang, in Erzählungen den Schlachten auf dem Brett eine besondere Dramatik zu verleihen. Eine ganz neue Variante entkorkte Denis mit seinem Turnierergebnis in Wernigerode 2015. Alle seine sechs Partien endeten – meist nach hartem Kampf – mit einem Remis. Unglaublich. Selbst in der letzten Runde versuchte er noch alles, um zumindest mit +1 abzuschließen. Ja, er kämpfte bis zum Dauerschach, als es galt ein -1 zu verhindern. Was für ein Turnier.
Weniger amitioniert ging ich in der letzten Runde zu Werke. Mit 3,5 Punkte befand ich mich in der dreiköpfigen Verfolgergruppe, die in der Schlußrunde versuchten zum Führenden, der 4,5 Punkte aufwies, aufzuschließen. Das Schicksal wollte es, dass mir die Aufgabe zufiel, das Zünglein an der Waage zu spielen. Lust auf Rechenschiebereien im Falle von "was wäre, wenn…" hatte ich nicht. Meine Buchholz-Wertung war vor der letzten Runde schlecht, so dass es selbst bei einem Sieg sehr unwahrscheinlich war, hier den 1. Platz zu belegen. Eine Vorentscheidung fiel bereits nach wenigen Minuten und exakt zehn gespielten Zügen am Nebenbrett, an dem sich die beiden anderen Verfolger gegenüber saßen. Der Weißspieler, dem ich bereits in der zweiten Runde in einem Morra-Gambit unterlegen war, eröffnete wiederum ultrascharf. Eigentlich verteidigte sich sein Kontrahent ganz clever (soweit ich dies aus dem Augenwinkel beobachten konnte) und nahm das angebotene Bauernopfer nicht an. Aber mit zwei vollkommen sinnlosen Zügen ruinierte er seine Igel-Stellung vollends und lief dem "Gambit-Meister" ins offene Messer. Damit war der Sieger der Partie faktisch schon Zweiter und konnte in Ruhe abwarten, was an Tisch 1 passierte. Fortan umkreiste er den Spieltisch wie ein Satellit. Als er dann kurz seine Beobachtungsposition verließ, offerierte mir mein Gegner im 11. Zug ein Remis. Doch damit nicht genug. Er skizzierte zugleich, welche Konsequenzen ein Remis für mein Turnierergebnis haben würde. Ein Remis würde mir – vor dem Hintergrund des Ergebnisses an Tisch 2 – den 3. Platz garantieren. Sollte ich es aber ablehnen, würde ich im Fall einer Niederlage auf den vierten oder fünften Platz zurückfallen. Was mir Fall eines Sieges "drohen" würde, erwähnte er jedoch nicht. Warum nur? Soviel Fürsorge hatte ich noch nie erlebt. Jedenfalls nicht am Brett. Ich beschloß daher herauszufinden, was wäre, wenn…. Schon sechs Züge später war die Stellung des Tabellenführers ruiniert. Zwei Züge später kapitulierte er. Seine skandinavische Ruine ließ sich nicht mehr verteidigen; ein undeckbares Matt zeichnete sich immer deutlicher ab. Der Satellit strahlte über das ganze Gesicht, während mein Gegner zerknirscht das Brett verließ. An den Mienen konnte der Ausgangs des Turniers einwandfrei abgelesen werden.
Das Turniers fand seinen würdigen Abschluss im historischen Rathaus von Wernigerode. Der Oberbürgermeister öffnete exklusiv für die Schachspieler die frisch renovierten Räumlichkeiten. Alle Sieger der zwölf Gruppen erhielten einen wertvollen Porzellan-Pokal im Wert von rund 400,. Euro. Für die Platzierten gab es Urkunde sowie Sachpreise. Alles in allem war das Turnier perfekt organisiert. Die Veranstalter konnten bereits vor Ort sowohl vom Hotel als auch Bürgermeister die Zusagen erhalten, auch im nächsten Jahr zur gleichen Zeit an gleicher Stelle den Deutschland-Cup zu veranstalten.