Prolog
Baguio City im Juli 1978. Auf den Philippinen liefern sich sich Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein beinhartes Duell um die Schachweltmeisterschaft. Für beide Seiten steht eine Menge auf dem Spiel. Es geht nicht nur um die Schachkrone. Nein, es geht um mehr – um viel mehr. Die zweidimensionale Ebene zwischen a1 und h8 haben die Kontrahenten längst verlassen. Von Beginn an wird der Wettkampf auch auf anderen Ebenen ausgetragen. Wem wird es gelingen, als erster die psychologische Lufthoheit zu gewinnen? Während die vierte Partie läuft, verspürt Kortschnoi, dass er fortwährend von einer ihm unbekannten Person aus dem Zuschauerraum fixiert wird. Bei dem Unbekannten handelt es sich um Dr. Wladimir Suchar, einem sowjetischen Parapsychologen, der nunmehr die Delegation Karpows ergänzt. Welchen Auftrag er hat, ist nicht wirklich bekannt. Kortschnoi vermutet einen parapsychologischen Angriff auf sich und geht im Verlauf des WM-Kampfs zum Gegenangriff über. Dida und Dada, zwei indische Yogi, werden nunmehr im Zuschauerraum neben Dr. Suchar platziert und sollen die parapsychologischen Aktivitäten Dr. Suchars neutralisieren. Die sowjetische Delegation protestiert. Kortschnois Delegation protestiert gegen den Protest. Kurzum, nach einem heftigen diplomatischen Scharmützel werden sowohl Dr. Suchar als auch die beiden Yogi vom Zuschauerraum ferngehalten und Karpow und Kortschnoi können sich wieder verstärkt dem Schachspielen zuwenden.
Hamburg-Neugraben am 28. Februar 2014. In der Altentagesstätte der AWO treffen die beiden ersten Mannschaften Fischbeks und des NTSV, von den Medien weitestgehend unbeachtet, in der Stadtliga A aufeinander. Es geht um zwei Mannschaftspunkte und um einen gesichterten Platz im Mittelfeld der Tabelle. Die Stimmung ist unaufgeregt. Beide Seiten sind sich um die Bedeutungslosigkeit des Mannschaftskampfs für die Menschheit bewusst. Wirklich? Nein, denn wie anders wäre es zu erklären, dass beim Stand von 0,5 zu 2,5 für die Gäste ein Spieler der Gästemannschaft plötzlich in den Spielsaal hereinbrüllt, man möge ihn nicht dauernd anstarren. Unglaublich. Reminiszenzen an Baguio City anlässlich eines einfachen Mannschaftskampfs in der Stadtliga A. Sollten wir in unserer Verzweiflung ob des drohenden Verlustes zum allerletzten Strohhalm gegriffen und begonnen haben, einen Schlüsselspieler der gegnerischen Mannschaft parapsychologisch zu traktieren? Ausgerechnet an einem Freitagabend, an dem im ganzen Süderelberaum auf die Schnelle partout kein Yogi aufzutreiben war? Wo bliebe das Fairplay?
Nun, natürlich kann man bei der Bewertung des Ereignisses auch zu einem ganz völlig anderen anderen Schluss kommen, zumal es nicht nur bei dieser einen Begebenheit blieb. Nicht jeder promovierte Zuschauer beim Schach ist auch Parapsychologe. Einige dieser Zuschauer wollen nur eines – nämlich zuschauen! Natürlich nehme ich hier die Fischbeker Sicht ein – was denn sonst. Und um der Vollständigkeit zu genügen möchte ich auch nicht unterschlagen, dass sich der überwiegende Teil der Gästespieler untadelig zeigte und auch nicht sehr glücklich über die verbalen Entgleisungen erschien, welche aus den Reihen der eigenen Mannschaft zu vernehmen war. Trotzdem wäre es – gerade in Würdigung der gestrigen Gesamtumstände – mehr als angebracht gewesen, Beschwerden zunächst gegenüber den beiden Schiedsrichtern, sprich Mannschaftsführern, vorzutragen und nicht den Marktschreier vom Fischmarkt zu geben. So, das musste erst einmal raus.
Über den sportlichen Teil der Veranstaltung will ich noch ein paar Zeilen verlieren. Der Mannschaftskampf begann erst einmal mit einer Krisensitzung. Denis musste aus dem Handgelenk für den erkrankten Philip sowohl einen Ersatzmann für den anstehenden Mannschaftskampf als auch einen Ersatzmann für die Norddeutsche Mannschafts-Blitzmeisterschaft am Sonntag aus den anwesenden Fischbekern rekrutieren. Punkt sieben Uhr war alles eingetütet. Hubert ersetzte Philip, dem wir an dieser Stelle gute Besserung wünschen, beim Mannschaftskampf und Jannis komplettiert das Blitzteam in Wittenberge. Und so lief`s an den Brettern 1 bis 8:
Christoph Serrer beendete als Erster seine Partie und einigte sich mit seinem Gegner Putzbach auf remis.
Denis Schermer stand sehr solide steuerte ebenfalls auf ein Remis zu. Zwischendurch musste er aber irgendwo vom Kurs abgekommen sein und erlitt in seiner Partie verhältnismäßig früh Schiffbruch. Woran lag es? Vermutlich wird er dafür in Wittenberge alles in Grund und Boden blitzen.
Jakob Kneip befindet sich derzeit in einer Topform. Unbeirrt und nervenstark holte er sich in der vierten Partie der Saison seinen vierten Skalp (oder das, was davon übrig blieb).
Sven Becker hat gestern gezeigt, dass er ein großes schachliches Potenzial besitzt. Auch wenn mancher Gedankengang aufgrund der fehlenden Spielpraxis noch von einem Knirschen und Knacken begleitet sein mag, gelang es ihm, verdient einen Punkt zu gewinnen.
Matthias Luckhardt war sicherlich sehr unglücklich. Beim Stand von 4:3 musste er "nur" ein Remis sicherstellen, was ihm mit ein oder zwei Minuten mehr auf der Uhr vermutlich auch gelungen wäre. Aber, aber, aber… Unabhängig von der gestrigen Dramaturgie spielte er aber eine sehr interessante Partie, die in der Analyse garantiert noch die eine oder andere überraschende Facette offenbaren dürfte.
Als Verfasser dieser Zeilen fällt es mir nicht leicht, die treffenden Worte über mein Spiel zu finden. Ich war aber ganz glücklich, dass sich auch in der nachträglichen Analyse keine groben Fehler finden ließen. Mein Dank gilt ausdrücklich Denis, der mir vor einigen Wochen den richtigen Plan für eine bestimmte Variante im Sweschnikow-Sizilianer zeigte. Erst einmal den Laden dichtmachen war das Motto des Tages. Gerne würde ich an dieser Stelle auf die aus dem Fußball bekannte abgedroschene Formulierung " die Null muss stehen" zurückgreifen, aber diesen Grundsatz habe ich im letzten Jahr leider nur allzu wörtlich genommen.
Nikolas Egelriede, Topscorer der letzten Saison, musste leider im vierten Spiel die dritte Saisonpleite hinnehmen. Über Einzelheiten kann ich leider nicht berichten, obwohl ich ab und an ein Auge auf die Stellung werfen konnte. Aufgefallen ist mir insbesondere aber der große Unterschied im Zeitmanagement beider Spieler. Blitzschach meets Fernschach. Der Blitzer hat gewonnen.
Hubert Kopyto ist aufgrund Philips Erkrankung unvermittelt ins kalte Wasser geworfen worden. Kein Problem für einen coolen Spieler wie Hubert. Locker machte er gegen seinen nominell stärkeren Gegner das Remis klar.
Fazit: Mit dem Unentschieden können beide Teams sicher gut leben. Die Saison ist noch lang und wird beiden Mannschaften noch alles abverlangen. Mal schauen, was am Ende dabei herumkommen wird.
Epilog
Zur Vermeidung etwaiger Irritationen werden wir künftig darauf verzichten, bei Mannschaftskämpfen farbige Joghurts (wie lautet überhaupt der Plural von Joghurt?) darzureichen. Die Viktors (wie lautet überhaupt der Plural von Viktor?) dieser Welt werden es uns danken.