Bericht: Hamburger Jugend-Einzelmeisterschaft

Wie jedes Jahr fand auch in diesem die Hamburger Jugend-Einzelmeisterschaft (www.hjem.hsjb.de – dort gibt es auch viele Fotos) während der Schulferien in der Jugendherberge Schönhagen statt – ein Spielort also, der Dubai oder Wijk an Zee in nichts nachsteht. Neben den über hundert Teilnehmern waren auch etwa zwei Dutzend Leiter mitgekommen; eine bunte Mischung aus bekannten Gesichtern aus den größeren Vereinen und älteren Spielern, die sich nicht qualifiziert hatten.

Als einziger Vertreter Fischbeks wurde ich in ein Zimmer mit Jakob Goepfert und Jan Stenzel (beide Eidelstedt) sowie Phillipp Schaeffer und Johannes Gräfe (beide SKJE) gesteckt. Alle vier erwiesen sich als relativ vernünftig und einer angemessenen Nachtruhe nicht abgeneigt, sodass das sonst auf der HJEM übliche Schlafdefizit dieses Mal ausblieb. Lediglich das uns gegenüberliegende Zimmer mit Julian Kramer und den Zwillingen Julian und Daniel Grötzbach (alle HSK) unternahm ernsthafte Versuche, uns um unseren Schlaf zu bringen, aber mit zwei extra für sie abgestellten Leitern pro Nacht war auch dort Ruhe.

Die Verpflegung war – eher untypisch für Jugendherbergen – sehr gut; zusätzlich zu dem guten Essen wurden kostenlos und unbegrenzt Mineralwasserflaschen zur Verfügung gestellt. Während der Partien wurden darüber hinaus geschnittene Äpfel, Müsliriegel und Hustenbonbons gereicht. Kurz: Wir wurden mit allem versorgt, was man braucht, um sich über Stunden konzentrieren zu können. Und falls mal eine Partie so lange dauerte, dass die Spieler nicht zum Abendessen konnten (was wegen des Zeitmodus mit +30s/Zug immer wieder mal vorkam), wurde eben das Essen ans Brett gebracht.

Einem erfolgreichen Turnier standen also nur die zehn anderen Spieler in meiner Gruppe im Weg. Da wir Jeder-gegen-Jeden spielten, waren alle Paarungen schon im Voraus bekannt – mit einer Ausnahme: Kurz vor der Reise sagte der eigentliche zwölfte Teilnehmer der Gruppe ab, in jeder Runde würde also einer von uns spielfrei haben (ich musste in der letzten Runde aussetzen).

Alle Partien der Endrunde können unter dem obigen Link oder auch unter www.endrunde.com angesehen werden – oder eher fast alle, denn nicht jede wurde korrekt ins Netz gestellt. Ich gehe sie kurz in chronologischer Reihenfolge durch.

Runde 1: Schwarz gegen Murat Öztürk (1616)

Ein englischsprachiger Kommentator würde diese Partie wohl als "uneventful" bezeichnen. Mit Ausnahme einer kleinen Taktik – bei der ich auch noch die etwas schwächere Abwicklung wählte – passierte nicht viel, bis ich nach 91 Zügen endlich den vollen Punkt ergattern konnte. Die längste Partie, die ich je gespielt habe (Kleine Randbemerkung: Obwohl ich mich als grottenschlechten Endspieler sehe, habe ich alle Partien in meiner Datenbank mit 60 oder mehr Zügen gewonnen).

Runde 2: Weiß gegen Lucas Lanzenauer (1130)

Diese Partie und die der ersten Runde wurde bereits ein Wochenende vor der Endrunde in Hamburg vorgespielt – keiner hat Lust auf drei Doppelrunden. Bei einer Spielstärkedifferenz von über 750 Punkten kann man zurecht von einem Pflichtsieg sprechen, und den gab es auch.

Runde 3: Schwarz gegen Max Hort (1763)

Max, der eigentlich weit über 1800 hat, war jetzt schon ganz klar mein Konkurrent um den Titel. Die beiden anderen Spieler mit höheren Wertungszahlen hatten bereits volle Punkte abgegeben, Max nur einen halben. Wir trennten uns "kampflos" (Zitat Andreas Wanke) nach 12 Zügen, meine kürzeste Turnierpartie bisher. In der Endstellung habe ich zwar gerade einen Mehrbauern, aber Weiß kann sofort einen Damentausch erzwingen und ihn mühelos zurückgewinnen, wonach die völlig symmetrisch Struktur das Remis rechtfertigt (ich bin ja nicht Karpov). Von jetzt an lief das Fernduell.

Runde 4: Weiß gegen Denis Petru (1671)

Um meinen Gegner aus der zweifellos vorhandenen Vorbereitung zu reißen, verlegte ich unsere Partie mit 2. c4 kurzerhand von Sizilien nach England – ein Gebiet, in dem sich Denis offenkundig nicht ganz so gut auskannte, da er mich zu d4 kommen ließ. Danach gewann ich erst Aktivität, dann eine Qualität und schließlich die Partie.

Runde 5: Schwarz gegen Johannes Gräfe (1555)

Gegen meinen Zimmergenossen spielte ich genau die Drachenvariante, mit der ich schon im Februar bei den Qualifikationen gegen seinen Vereinskameraden und meinen anderen Zimmergenossen Philipp Schaeffer besiegt hatte. Wenig überraschend kam Johannes mit einer Vorbereitung von Hendrik Schüler ans Brett – und wich promt selbst davon ab. Nun, wie sich herausstellt, kann Schwarz in dieser Variante mit dem Drachen nach vorne laufen und selbst am Königsflügel angreifen.

Runde 6: Weiß gegen Kevin Weidmann (1677)

Die erste Turnierpartie, in der ich nicht mit 1. e4 eröffne, und es geht gleich daneben. Ich wollte eigentlich nur dem besonders ekligen Sizilianischsystem meines Gegners ausweichen, aber der antwortete auf 1. Sf3 mit 1. … f5, wonach ich eine mir unbekannte holländische Struktur über mehrere Züge verwurstete und am Ende entnervt Remis bot. Damit zog Max Hort wieder mit mir gleich, denn er konnte die letzten drei Partien für sich entscheiden.

Runde 7: Schwarz gegen Jan Stenzel (1833)

Jan, Zimmergenosse und ursprünglicher Mitfavorit, hatte zu diesem Zeitpunkt nur 50% und war damit verständlicherweise nicht zufrieden. In einem mir gut geläufigen Russisch-System fand ich ein korrektes Figurenopfer, zog aber den falschen zweiten Zug der Kombination (ein zweites Figurenopfer). Entgegen der Weltuntergangsbewertung der Engines fand ich die resultierende Stellung gut spielbar für mich, und im zweiten Anlauf brachte mein Königsangriff das erwünschte Ergebnis.

Runde 8: Weiß gegen Phillipp Schaeffer (1821)

Der dritte und letzte Zimmergenosse, gegen den ich spielen musste. Aus dem d6-Sizilianer wurde schnell eine Struktur, die man am ehesten vielleicht noch der Vorstoß-Variante im Caro-Kann zuordnen könnte. Phillipp ließ sich zu b6 hinreißen, wonach seine weißfeldrigen Schwächen ausschlaggebend waren. Mein Gegner ließ sich noch von mir zeigen, dass ich ein Endspiel mit Mehrfigur gewinnen kann, und genau das tat ich dann auch – wobei besagte Mehrfigur an einer Stelle vier Züge lang hing, aber nicht geschlagen werden durfte. Meine Wahl für meine beste Partie des Turniers.

Runde 9: Schwarz gegen Carina Brandt (1541)

Carina hatte sich extra von René Mandelbaum vorbereiten lassen – und ich Experte habe genau das vorbereitete System gespielt. Nach dem Ende der Vorbereitung gelang es mir aber schnell, das Blatt zu wenden und die Initiative zu ergreifen. An einer Stelle hätte ich eine Qualität gewinnen können, hielt das aber nicht für die beste Option (ein Irrtum). Danach verteidigte meine Gegnerin sich souverän, bis am Ende das Damenendspiel trotz Mehrbauerns Remis war – wobei ich versehentlich eine dreifache Stellungswiederholung herbeiführte, obwohl ich eigentlich noch etwas weiterspielen wollte. Es wäre aber sowieso nichts mehr zu holen gewesen. Glücklicherweise hatte Max Hort in dieser Runde auch nur Remis gespielt.

Runde 10: Weiß gegen Ruben Hartig (1464)

Ruben ist wie Max Hort ein Königsspringer, weswegen er höchstwahrscheinlich eine umfangreiche Vorbereitung gegen mich bekommen hatte. Um die zu umgehen, ließ ich zum zweiten Mal in diesem Turnier meinen e-Bauern unangetastet und spielte 1. Sf3 – ironischerweise den Königsspringer – nebst 2. d4 (zu 1. d4 wollte ich mich dann doch nicht hinreißen lassen). Mein Studium etlicher Großmeisterpartien in den Wochen vor der Reise machte sich hier besonders bezahlt, da ich dadurch einige stellungstypische Manöver und Ideen kannte. Nach nur 26 Zügen sah Ruben ein, dass mein Königsangriff durchschlagen würde.

Damit lag ich einen Punkt vor Max Hort, der bereits einmal spielfrei hatte. Wenn er in der letzten Runde gewinnen würde, wären wir punktgleich und der Ausgang der anderen vier Partien würde entscheiden, wer die bessere SoBerg hätte. Allerdings hatte Max mit den schwarzen Steinen gegen Phillipp Schaeffer – den ich am Tag vorher früh ins Bett geschickt hatte – keine leichte Aufgabe. Phillipp spielte einen kreativen und gut vorbereiteten Aufbau und gewann schnell eine Qualität. Nachdem Max dann in verlorener Stellung mit wenig Zeit auf der Uhr noch eine Figur einstellte, gab er auf – und ich war mit 8,5/10 Punkte Meister.

Besonders erfreulich: Mein Ergebnis hat mir voraussichtlich einen Gewinn von 15 DWZ-Punkten eingebracht, womit ich endlich die 1900er-Mauer durchbrochen habe – nachdem ich mit 1899 schon ziemlich nah dran war.

Insgesamt lässt sich an dem Turnier kaum etwas aussetzten, lediglich das kalte Wetter und das unnötige Remis gegen Carina sind Wermutstropfen. Ich kann nur hoffen, dass es nächstes Jahr – dann in der U20 – ähnlich gut wird.