Eigentlich ist heute ein wunderschöner Tag ! Der Frühling hält Einzug und bringt uns wolkenlose 18-20 °C . Ich sitze gerade auf der Terrasse und genieße die Sonnenstrahlen. Ein paar Häuser weiter wird anscheinend gleich angegrillt. Die Grillzange klappert schon – und ohne Zange grillt es sich nicht so gut. Und ohne die Serrer-Zange spielt es sich für uns offensichtlich auch nicht gut, denn wir kamen heute letzten Endes unter die Räder…
Normalerweise gehe ich nicht so gerne auf verlorene Partien von meinen Mitspielern ein. Heute erlaube ich es mir, aber nicht um jemanden vorzuführen, sondern um unseren Kampfeswillen und die Schönheit dieses Spiels zu zeigen. Wenn ich damit jemanden zu nahe trete, meldet euch gerne. Ich kann den Text immer wieder ändern.
Und um es mal einzuordnen : Der Tabellenführer St. Pauli II kam heute angereist. Mit dabei : 6 Spiele, 6 Siege, 6 Titelträger. Uns war klar, dass wir hier einfach frei aufspielen konnten. Die Erwartungshaltung lag bei 0.


Für mich persönlich gab es ein Wiedersehen mit einem alten Weggefährten, den ich bereits seit der Schachjugend kenne. Erinnerungen flammten auf, wie wir z.B. einmal ein 4er-Mannschaftsblitz-Turnier in der JVA Wolfenbüttel gespielt hatten. Ich bekam zum Schluss den Preis für den besten Jugendlichen überreicht, doch der VAR schaltete sich ein (in dem Fall der Käpt´n eines Braunschweiger Vereins) und ich musste den Preis an Fabian Müller abgeben, der einen halben Punkt mehr gemacht hatte. Ich fühlte mich damals ganz komisch. Ich hatte etwas in der Hand, dass mir nicht gehörte. Und wir waren schließlich im Gefängnis…
Später wurde er FideMeister, schließ sich St. Pauli an und so kam es heute zu diesem Duell.


Weiß hatte mit d4-d5 die Stellung festgelegt und überführt nun den Turm auf die g-Linie. Ich musste Gegenspiel im Zentrum bekommen und versuchte mit b6-b5, den d-Bauern zu verhaften.

Weiß befasste sich gar nicht mit den Bauern und war nur daran interessiert, den Springer von f6 wegzulocken. Für einen Mattangriff mit Dg4 oder Dh5 ist die schwarze Verteidigung noch zu stabil, aber man kann die Partie auch sofort beenden : 19.Txg7+! Kxg7 20.Dg4+ Kh7 21.Df5+ Kg7 22.Dg4+ Kh7 remis durch Dauerschach.
Wenig später war auch Denis fertig. Ebenfalls remis mit Schwarz gegen einen FM. Ach, ist der Tag nicht schön ?

Denis war anderer Meinung, denn da wäre mehr drin gewesen, sagte er. Also ließ ich meinen Computerfreund mal nachsehen. Seiner Meinung nach muss das dieser Moment gewesen sein, wo Schwarz +0,77 Einheiten besser stehen soll, wenn jetzt 17…Sc4 folgt mit der Idee a6-a5 und der weiße Turm immer weniger Felder hat.

Denis entschied sich in der Stellung für 17…Dd7 und nach einigen Tauschaktionen wurde mit der Zugwiederholung Tb6 Dc7 Tb7 Dc6 die Friedenspfeife geraucht.

1:1 der Zwischenstand ! Dann passierte erstmal nicht so viel und ich nutzte die Zeit für ein Sonnenbad auf dem Neugrabener Marktplatz. Eigentlich ein richtig schöner Tag heute!
Pünktlich zur Zeitnotphase war ich wieder da und ab dem Zeitpunkt liefen wir den Punkten vergeblich hinterher.
Alexander stand seit längerer Zeit unter enormen Druck, und das kam so:

Eine kleine Ungenauigkeit kann oft schon ausreichen, um auf diesem Niveau einen schweren Stand zu haben.

Vom „Schachfeeling“ her ist einer der ersten Gedanken natürlich, dass die Dame aus der Schusslinie des Turmes wegziehen muss. Also 11…Dc7. Daraufhin folgt 12.Lb5+ und nun scheitert 12…Ld7 an 13.Lxd7 Dxd7 14.c4. Ergo geht nur 12…Kf8 13.Lh6+ Kg8 und der schwarze Turm auf h8 ist für den Rest der Partie eingesperrt.
Weiß spielte sehr stark weiter und ließ Alex am Ende keine Chance mehr.

Auch bei Thomas am Nachbarbrett war der Druck deutlich spürbar.

Thomas ist ja immer für überraschende Eröffnungen zu haben. Heute fiel die Wahl auf 1.f4, gefolgt von einem Doppelfianchetto. Der erste Schreckmoment folgte, als Schwarz plötzlich 10…Lh6 auspackte :

Das Loch auf e3 ist schon echt unangenehm. Thomas konnte direkten Materialverlust zwar vermeiden, aber wurde immer weiter in die Defensive gedrängt.

Letzten Endes kam es nicht mehr zum ganz großen Befreiungsschlag. Der schwarzfeldrige weiße Läufer kam zwar noch ins Spiel, doch Schwarz hatte den weißen König schon längst in der Falle :

Marco hatte ein Déjà-vu, denn er bekam denselben Gegner wie in der Vorsaison, als wir und St.Pauli II noch Oberliga spielen durften.

Doch gleich ab Zug 1 wich Marco´s Gegner von der Vorgängerpartie ab. Noch in der Eröffnungsphase gab Marco freiwillig einen Bauern, vermutlich um freies Spiel zu erhalten. So richtig zahlte sich die Idee aber nicht aus. Weiß konnte den Mehrbauern halten und das Läuferpaar erobern.

Trotz der aktiven Spielweise von Marco sprang nichts Zählbares mehr dabei heraus. Nach der Zeitkontrolle gab Weiß den Ton an – und das Ende war dann auch absehbar. Daher gab Marco die Partie im 45.Zug auf.

Jörg fand ebenfalls einen vielversprechenden Weg ins Lager gegenüber, doch der entscheidende Durchbruch kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt…


An dieser Stelle wäre 39.g4+ ganz gut gewesen, denn nach 39…Kxh4 und 40.Kg2 muss Schwarz die Qualität auf c8 geben, um Matt auf h1 zu verhindern. Stattdessen folgte 39.hxg5 hxg5 40.Txb7 – Zeitkontrolle geschafft, aber… 40…Txc8 und eine Figur geht verloren.

Jay hatte die vorletzte Partie am heutigen Tage. Seit 14 Monaten in Mannschaftskämpfen ungeschlagen ging Jay mit viel Selbstvertrauen in die Partie. Auch hier war der Gegner derselbe wie im Vorjahr. Damals hatte Jay gewonnen – ein gutes Omen also ? Genau wie bei Marco wurde die Vorgängerpartie nicht lange wiederholt, die erste Abweichung geschah bereits im zweiten Zug.

Jay startete stark, eroberte zwei Bauern und stand kurz vor der Zeitkontrolle laut Stockfish bei +4,5.

Jay spielte an dieser Stelle 37.b4, was die Bewertung von +4,5 auf -2,5 schießen lässt. Erstaunlich, oder ? Computer müsste man sein, dann erkennt man in ein paar Nanosekunden, dass Weiß unbedingt e5-e4 von Schwarz verhindern muss. 37. Se4 wäre hier also die richtige Wahl, auch wenn die Partie dann noch nicht vorbei ist. Jay gefiel auf 37.Se4 z.B. 37…Sxh3 38.Lxh3 Lxe4 nicht. Verständlich, immerhin tickert ja auch die Uhr unbarmherzig herunter und das ist zu viel, um es sauber berechnen zu können.
In höchster Zeitnot fand Schwarz dann wiederum 37…e4, um zwei Züge später spektakulär zu beweisen, wie wichtig diese frei gewordene Diagonale sein kann :

Lösung (in weißer Schrift, zum Lesen markieren) : 39…Dxc7 40.Sxc7 Lf4+ 41. Kh1 Sf2#
Es war gerade mal 15:10 Uhr und Carina spielte die allerletzte Partie des Tages. So richtig in Fahrt kam die Partie nach der Eröffnungsphase, als Carina mit 20.c4 den Bauern d4 anbot und Schwarz diesen prompt mitnahm.

Wie sich herausstellte, kommt die eroberte Qualität zunächst nicht zur Geltung, denn nur Schwarz war jetzt am Drücker.

Hier verpasste Schwarz bereits die Vorentscheidung mit 26…Df2+ 27.Dxf2 Sxf2 und Weiß verliert Material. Stattdessen zog Schwarz 26….Df6
Auch diese Partie ging in die Zeitnotphase und am Ende war uns auch hier kein Punkt vergönnt. Das Läuferpaar triumphiert über das Material

Nun ja, 1:7 am Ende. Was soll´s ? St.Pauli war einfach besser und wird nächste Saison sicher eine Liga höher spielen, wo sie mit der Mannschaft auch hingehören.
Und der Tag ist doch trotzdem noch schön. Denn nicht nur die Sonne scheint, auch die anderen Mannschaften im Tabellenkeller konnten nicht punkten. Barmbek kann uns nicht mehr einholen und Union Eimsbüttel allenfalls gleichziehen.
Obendrein gewann SKJE in der Oberliga Nord Nord gegen Preetz, was weiterhin nur 2 Absteiger aus der Landesliga bedeutet…
Tabelle nach 7 von 9 Runden

Zwei Spiele noch. Packen wir´s an !