Der Freitagabend im Schachklub… (zzzzzz)

 

Mehrere Senoiren sitzen still und gedankenverloren am Brett. Die Stellungen zeigen über Stunden ausgekämpfte Partien, das Material ist reduziert, die Gedanken haben tiefe Falten in die Gesichter geschlagen. Das Ticken der früheren analogen Schachuhren ist nicht mehr, dafür gibt die ehrwürdige Pendeluhr aus dem 19. Jahrhundert Geräusche von sich, um den Fortlauf der Zeit zu signalisieren. Die Gobelins an den Wänden zeigen historische Schachmotive. Der Vereinshund, ein quadratisch gefleckter Dalmatiner, liegt auf dem hochflorigen Teppich, öffnet maximal ein Auge und genießt die Ruhe.

Der Abteilungsleiter der Schachgruppe trägt einen eleganten Pinguinanzug und deckt gerade brühwarmen Kaffee auf. Was man nicht sieht aber riecht, dem Kaffee ist Hochprozentiges in deutlicher Portionierung zugefügt. Das edle englische Teegebäck wurde bereits vor Stunden verputzt.

So stellt man sich einen Freitagabend im Schachklub TV Fischbek vor – mitnichten.

Ein Hund liegt da nicht herum, die digitalen Uhren zeigen den gnadenlosen Ablauf der fünf Minuten. Man fabuliert über den Ablauf des letzten Mannschaftskampfes. Ein 15-jähriges Mitglied benutzt einfach das Smartphone seines Vaters, um Telefonnummern auszutauschen und vermutlich noch anderen Schabernack damit zu betreiben.

Und plötzlich zwischen Mittelspiel und Endspiel geraten die Qualifikanten zur Norddeutschen Blitzmannschaftsmeisterschaft in eine Art euphorischen Ausnahmezustand. Plötzlich ist das Kandidatenturnier zur Schachweltmeisterschaft das Thema und der Nervenkitzel zwischen hochtreibenden Triumph und peinlicher Niederlage – dem Ausgang einer Wette. Ein einzelnes Mitglied verweist auf integeres Verhalten, über moralische Bedenken zum Glücksspiel – zur Not auf die notwendige Versorgung seiner Familie – umsonst. Gepresst vom Gruppenzwang wird man neues Mitglied einer konspirativen Internetgruppe, hilflos umzingelt von siegesgewissen Kollegen, jeder weiß es besser.

Am Ende gibt es ein leichtes Übergewicht zugunsten von Herrn Caruana, aber auch andere Teilnehmer des Kandidatenturnier haben ihre Fans… 

https://en.candidates-2020.com

Was war noch? Zwei ältere Mitglieder gegen den 15jährigen plus einem Kollegen aus dem mittleren Alterssegment – jeweils mit abwechselndem Zugrecht. Der hängende Springer auf b5 und diverse Einsteller später steht es 2:0 für die d4-spielenden Senioren und das Ende des aufregenden Abends.

Ja, so langweilig geht es zu im Schachklub TV Fischbek an einem Freitagabend im März…

Denis Schermer

2 Kommentare

  1. 188 Jahre nach Goethe ein…

    188 Jahre nach Goethe ein neuer Stern am Firmament. Wir warten auf mehr, Jürgen.

  2. Dar war noch was…

    Ja, so trug es sich zu an jenem Abend im März. Ein Dank an den  Schöpfer dieser prosaischen Komposition.

    Doch möchte ich noch noch einige Nuancen hinzufügen wollen, die dem Leser an dieser Stelle verschwiegen wurden. Wie etwa der Vorwurf entbrannte, es handele sich bei dieser harmlosen Wette unter Sportsmännern gar um eine getarnte Geldwäsche-Aktion, vermutlich sogar mittels Gebrauch von Sake-gefüllten Eichenfässern der lokalen Sushi-Restaurants.

    Oder wie zu später Stund der Oberhauptschiedsrichterausbilder höchstpersönlich das Spielgeschehen des entscheidenden Doppels zwischen Jung und Mittelalt mit lautstarken Balzrufen derart störte, sodass die verdatterte Jugend komplett den Faden verlor.

    Nicht zu vergessen, dass die d4-spielenden Herrschaften sich zunächst äußerst kritisch zu vergangenen Skandalen der Schachgeschichte (Topalov / Danailov bzw. die Entstehung der Schachweltmeisterschaft zwischen Kramnik und Kasparow im Jahr 2000) äußerten, im Rausche des gefröhnten Hedonismus jedoch völlig ungeniert einander Züge vorhersagten.

    Auch das ist die – wenn auch sehr hässliche – Seite eines Schachabends beim TV Fischbek im März.

    Doch letzten Endes ist die Digitalisierung mit den Tagträumen romantischer Schachabende nicht aufzuhalten. Die Wettgruppe steht und ist für jedermann und jederfrau offen. Und am Ende wird man sich wohl nur noch an dieses Gedicht erinnern :

    „Die Moral von der Geschicht – auf Caruana – setzt man nicht.

    Auch die Chinesen Ding Liren und Hao Wang – machen einen nicht bang.

    Giri und MVL, ein Holländer und ein Franzose ? Wegen denen mach ich mir nicht in die Hose.

    Wer also sonst soll Carlsen´s Thron beerben ? Mit Verlaub, ich bin mir sicher – ein Russe wird es werden.

    Man schreit es von den Dächern, von Moskau bis nach Sotschi – nicht Grischuk, nicht Alekseenko, es wird Ian Nepomniachtchi.“

     

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