Als vor einigen Monaten die Information durchsickerte, dass Hamburg einer von vier Austragungsorten für den aktuellen Grand-Prix-Zyklus werden würde, war die Freude in der hiesigen Schachszene recht groß. Schließlich würden sich sechszehn Spieler aus der absoluten Weltspitze ein Stelldichein in der Hansestadt geben und wir können hautnah mit dabei sein. Man muss nämlich schon sehr weit in die Vergangenheit zurückblicken, um Veranstaltungen mit vergleichbaren Stellenwert ausfindig machen zu können: die Mannschafts-Europameisterschaft 1965 oder die Schacholympiade 1930. Dazwischen gab es noch ein paar Klaus-Junge-Gedenkturniere und das war es dann schon.
Keine Frage, wir, also Matthias, Denis nebst Gattin Antje und ich, werden mit dabei sein. Zum Schnäppchenpreis waren die Karten zwar nicht gerade zu bekommen (35.- Euro), aber sie waren – im Gegensatz zu den Karten für die Elphi – immerhin zu bekommen. Da ich mein Geld trotz diverser Versuche weiterhin nicht im Hamburgs Musentempel versenken kann, ist das dafür ursprünglich vorgesehene Geld sowieso über.
In unmittelbarer Nähe der Elbphilharmonie, im Kehrwieder-Theater in der Speicherstadt, waren wir Zuschauer der 2. Partie in der 2. Runde (oder auch Viertelfinale genannt, denn der Grand Prix wird im Ko-System durchgeführt). Angenehme Überraschung zu Beginn: Die Garderobe war kostenlos. Unangenehme Überraschung danach: Der Fotoapparat musste draußen bleiben. Das las sich in den Bestimmungen auf der Homepage des Veranstalters allerdings noch anders. Lediglich Blitzlicht und Kamerageräusche waren danach verboten, aber das Personal an der Einlasskontrolle lies keine Diskussionen zu.
Im Zuschauerraum waren geschätzt für rund 60 oder 70 Personen Stühle aufgebaut. Damit saßen die Zuschauer rund fünfzehn bis zwanzig Meter vom Ort des Geschehens, der Bühne, auf der vier Tische aufgebaut waren, weg. Somit war es dem Zuschauer nicht möglich, einen Blick auf die Bretter werfen zu können. Ohne die vier Monitore an der Decke, auf denen die aktuellen Stellungen im Diagramm abgebildet waren, wäre der Informationsgehalt für die Fans gleich null gewesen, es sei denn, man hätte ein starkes Interesse an Physiognomie und Mimik von Schachspielern. Im Nebentrakt des Theaters wurden – nahezu zeitgleich – die Partien Duda vs. Yu, Navarra vs. Grischuk, Vachier-Lagrave vs. Topalov und Svidler vs. Dubov ebenfalls auf Monitore übertragen und von Ilja Zaragatski kommentiert. Hier fanden sich fast mehr Zuschauer ein als am unmittelbaren Ort des Geschehens. Hmmm… Ansonsten war der Rahmen sehr spartanisch. Getränke und kleine Schokosnacks gab es aus dem Automaten. Ein zweiter Automat, der direkt neben dem erstgenannten stand, durfte dagegen nur vom Personal de Hamburg Stage School genutzt werden – so teilte es uns der Bodyguard des Automaten unmissverständlich mit. Zumindest ein paar kleine Andenken und Devotionalien (Kaffeebecher, Bleistifte, Tragetaschen, Poster sowie Papputensilien) konnten für schmales Geld erworben werden. Eher für dicke Portemonnaies war dagegen das Schachset (Brett und Figuren), welches für schlappe 325.- Euro erworben werden konnte. Very strange.
Am Ende des Tages gewannen Duda und Grischuk ihre Partien und zogen zusammen mit Maxime Vachier-Lagrave, kurz MVL genannt, der seine Partie gegen Topalov unentschieden gestaltete, ins Halbfinale ein. Ein Tag später komplettierte Schnellschach-Weltmeister Dubov das Quartett, welcher sich heute im Stichkampf gegen Svidler behaupten konnte.
Aus sportlicher Sicht lohnte sich der Besuch des Turniers zweifellos. Unter Entertainment-Gesichtspunkten musste man jedoch feststellen, dass noch Luft nach oben war. Kopfhörer mit Kommentaren? Interviews? Signierte Bücher? Wäre alles möglich gewesen, fand aber nicht statt oder wurde nicht angeboten. Kurzum: Schach darf nicht nur im Internet stattfinden; es muss auch live erlebbar bleiben. Vielleicht helfen die hiesigen Erfahrungen, das Produkt „Schach“ künftig noch professioneller zu vermarkten.