Ramada-Cup 2011 – Endrunde in Magdeburg (Update – 5.Runde)

Am 23. Juni war es wieder soweit. Magdeburg empfängt rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Endrunde um die Deutsche Schach-Amateurmeisterschaft. Natürlich auch dieses Mal wieder mit Fischbeker Beteiligung. Denis Schermer und ich versuchen einmal dem TV Fischbek zu Ruhm und Ehre zu verhelfen. Im Gegensatz zu Denis bin ich das erste Mal in Magdeburg. TomTom-gesteuert war das Auffinden unseres Hotels kein Problem. Der erste Schachspieler, der uns über den Weg läuft, ist ein alter Bekannter. Volker Gassmann, langjähriges Mitglied unseres Vereins und jetzt eine der Stützen bei Essen-Katernberg, schaffte es nicht mehr rechtzeitig vor uns zu fliehen und musste seine kostbare Vorbereitungszeit in unserer Gesellschaft verbringen. Ich hoffe, es wir seiner Turnierperformance nicht abträglich sein.

1.  Runde

Der Komfort hier im Hotel ist wie gewohnt gut, wenn man von den saunahaften Temperaturen im Zimmer absieht. Ich komme bereits vor dem 1. Zug ins Schwitzen, und es soll nicht der letzte Anlass zur Transpiration sein. Die erste Runde mit Weiß gegen die skandinavische Verteidigung. Eigentlich eine gute Gelegenheit Zählbares zu verbuchen. Blöd nur, dass mein Gegner ähnliche Gedanken hegte. Einzelheiten zum Partieverlauf erspare ich mir an dieser Stelle. Entscheidend ist, dass ich mich im 32. Zug habe mattsetzen lassen. Zu diesem Zeitpunkt war der Drops nämlich schon längst gelutscht. Besser läuft es für den Denis, der den Begriff Vendetta mit Inhalt füllen kann. Sein Erstrundengegner, der ihn in Kassel noch besiegen konnte, vermöbelt er dieses Mal nach Strich und Faden. 1:0 für den Unbesiegbaren.

2. Runde

Nach einer relativ kurzen Pause geht’s auf in die nächste Runde. Diesmal dürfen Denis und ich jeweils die schwarzen Figuren führen. Mein Gegner Karl-Heinz Stolzenwald setzt mir meine „Lieblingseröffnung“ (1. d4 Sf6 2. Sf3 …) vor. Ich glaube, Viktor Kortschnoi hatte vor vielen Jahren einmal den Begriff „Antischach“ geprägt. Er hat dies zwar in einem anderen Zusammenhang gemeint, aber für die Begriffsschöpfung bin ich ihm heute noch dankbar.

Jedenfalls stürzt meine Motivationskurve nach dem zweiten weißen Zug mit Karacho in den Keller. Im weiteren Verlauf der Partie gelingt es mir schnell Ausgleich herzustellen. Bevor die Partie in die üblichen zähen Grabenkämpfe übergeht, opfert mein Gegner urplötzlich und unerwartet seinen Springer. Nachdem ich meinen Adrenalinhaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen kann, stellt sich der wahre Wert des Opfers heraus: Er liegt bei Null. Ein paar belanglose Züge weiter darf ich ein 0:1 auf den Meldezettel eintragen. Nach der Partie stellen mein Gegner und ich fest, dass wir bereits in den achtziger Jahren bei den Hamburger Mannschaftsmeisterschaften die Klingen miteinander gekreuzt haben.  Die Eröffnung war zwar eine andere (Orang-Utan), aber die Revanche misslang.

Denis` Partie habe ich – wieder einmal – nicht so aufmerksam verfolgt. Wozu auch, er „… bekommt ja nur Patzer vorgesetzt“ (O-Ton Denis). Na, da will ich mir meine ansteigende Formkurve nicht versauen und schaue lieber nicht so genau hin, was die B-Klasse verzapft. Der Form halber das Ergebnis: 2:0 für die Lichtgestalt.

Am Abend ziehen wir in Richtung Innenstadt. In einer dunklen Seitenstraße in Bahnhofsnähe stellen wir den Wagen ab und suchen ein nettes Lokal auf. Denis` Tipp erweist sich als ganz brauchbar, denn im Lokal gibt es neben einem leckeren Essen (Curry-Bananencremesuppe) und gepflegten Getränken sogar Sex mit schokoladensüchtigen Frauen.  Ja, ihr Daheimgebliebenen, da staunt ihr. Da gönnen sich die vertrockneten Schachspieler doch glatt Dinge, die sonst nur Topverkäufern der ERGO-Versicherungsgruppe vorbehalten bleiben. Man muss nicht ganz bis nach Budapest reisen, um Verruchtes zu erleben:

Schokosüchtige Frauen

Im Gegensatz zu den Versicherungsleuten wird unser Ausflug ins Magdeburger Nachtleben aber ohne Folgen bleiben. Vielleicht gibt’s wegen des Wortes „Sex“ ein paar tausend Klicks mehr auf unsere Homepage. Aber warum nicht, wenn`s denn was bringt. Sex, Sex, Sex. So, das sollte uns im Google-Ranking an die Spitze aller Schachhomepages katapultieren. Oder sogar als Link auf die eine oder andere Schmuddelseite.   
Wir machen uns auf den Rückweg ins düstere Bahnhofsviertel zu unserem Wagen. Dank Denis` strahlender Aura finden wir im beklemmenden Dunkeln problemlos den richtigen Weg.  

3. Runde

In der 3. Runde soll ich mein Können gegen einen ca. 12- bis 13-jährigen jugendlichen Nachwuchsspieler unter Beweis stellen. Nach 1. e4 c5 2. Sf3 d6 wittere ich den Braten und beschließe, meine arg verstaubten Drachenkenntnisse lieber nicht zum Besten zu geben und weiche mit 3. c3 ab. Die Jungsiegfrieds in diesem Alter spielen irgendwie alle die Drachenvariante, wohl weil es gefährlich klingt und beim Gegner Angst und Schrecken hervorrufen soll. In meinem Fall tut es das dann auch. Die Flankeneröffnung des Läufers lässt dann auch trotz 3. c3 nicht lange auf sich warten. Im weiteren Verlauf kann ich zwar eine starke Stellung aufbauen, aber es fehlt irgendwo die Initialzündung für den finalen Angriff. Mein Gegner verteidigt sich allerdings auch sehr geschickt und kann im Mittelspiel einen Bauern erobern. In Anbetracht des knappen Zeitpolsters entscheiden wir uns dann, den Punkt zu teilen.

Während ich aufgrund der schlappen Auftaktrunde in der grauen Masse der Turnierteilnehmer verschwinde, darf Denis mit seinem virtuosen Spiel die Massen in aller Welt verzaubern. Die Veranstalter hatten sich diesmal einfallen lassen, die Spitzenbretter der jeweiligen Gruppen zu verkabeln und die Partien live ins Internet zu übertragen. Nun kann jedermann zwischen Alaska und Neuseeland Zeuge von Denis` unvergleichlicher Schachkunst werden. Es grenzt an ein Wunder, dass der Server nicht zusammenbricht. Wahrscheinlich ist es das Lampenfieber, vor einem Millionenpublikum zu spielen, weshalb Denis` wahre Stärke nicht zur Entfaltung gelangt. Am Ende teilt sich der angehende Friedensnobelpreisträger den Punkt mit seinem Gegner.

4. Runde

Ich will nicht viel Worte über meine Partie verlieren. Mit den schwarzen Figuren spielend werde ich mit 1. d4 Sf6 2. Sf3 konfrontiert. Alles weitere dazu siehe Partie Nr. 2. Bis auf das Ergebnis. Nach halbstündiger sinnentleerter Daddelei rauchen wir die Friedenspfeife. Mal sehen wie es meinem Mitstreiter geht. Da Denis seine Partie wie gewohnt zäh anlegt und noch alle Figuren auf dem Brett sind, verschafft mir dies endlich die Gelegenheit, Magdeburg auf eigene Faust etwas näher zu erkunden. Dom, Hundertwasserhaus und trinkende Jugendgruppen entdecke ich auf meiner Tour durch die Stadt. Hübsch restaurierte historische Stadthäuser wechseln sich mit scheußlichen Relikten sozialistischer Baukunst ab. Letztere sind eigentlich ein Fall für das Stadtteilentwicklungsbüro TNT.

Zurück im Hotel ahnte ich schon Schlimmes. Keine Menschentraube, die enthusiastisch den Schachstar aus dem Süden Hamburgs feiert. Keine blutjungen Groupies, die dem blonden Halbgott der deutschen Schachszene schmachtend zu Füßen liegen. Nichts von alledem. Aus dem Halbdunkeln schlurft langsam eine alte, gebrochene Gestalt durch die Hotellobby und setzt sich seufzend neben mich. Der Unbesiegbare hat in der 4. Runde seinen Meister gefunden. Die Lichtgestalt ist von einem unwürdigen Neunzehnhunderter ausgeknipst worden.

Denis sieht aus, als will er nur noch eines – sterben. Vom Dach des Hotels springen, in die kalten Fluten der Elbe stürzen oder mit einem St.Pauli-Kapuzenpullover an den trinkenden Jugendgruppen vorbeilaufen. Alles egal. Da auch Volker seine Partie verliert, steht dem nächtlichen Alkoholexzess Fischbeker und Ex-Fischbeker Schachspieler nun nichts mehr im Wege.  In der Innenstadt stellen wir fest, dass exzessiver Alkoholgenuss in unserem Alter keine besonders originelle Idee ist und hier eher zum kulturellen Brauchtum junger Menschen gehört. Ok, dann eben nur ein Cocktail und eine frühe Nachtruhe.

5. Runde

Mit welchem Vorsatz spielt man die Schlußrunde, wenn es nur noch um die Goldene Ananas geht? Ein schnelles Remis schieben oder ein wildes Gemetzel veranstalten? Ich entscheide mich für ein konsequentes Weder-noch und versuche einfach nur eine hübsche Partie zu spielen.  Schließlich bin ich nicht knapp 300 Kilometer gefahren, um Blödsinn zu veranstalten. Im Gegensatz zu mir hat Denis noch Chancen, das Turnier mit 3,5 Punkten abzuschließen und bei der Preisvergabe mit dabei zu sein. Also kein Remisschieben und auch kein Harakiri. Er versucht, seinen Gegner mit einer kontrollierten Offensive langsam in die Knie zu zwingen. Vorläufig sieht`s auch ganz gut aus. Meine Partie entwickelt sich sehr zweischneidig. Mein Gegner verteidigt sich sizilianisch und es entstehen die typischen asymmetrischen, sizilianischen Strukturen. Bereits in der Eröffnung kassiert mein Gegner einen Bauern am Damenflügel, während ich am Königsflügel einen Angriff auf den König starte. Jetzt gibt es kein Zurück mehr – ein Remis streben beide Seiten längst nicht mehr an. Nach 28 Zügen streckt mein Gegner die Waffen, weil er nach Bauer c6 für seinen Springer auf b7 kein Feld mehr findet. Eine hübsche Partie –  Mission erfüllt. 

 Agonie wäre der passende Begriff, um die Situation zu charakterisieren, in der sich Denis zu diesem Zeitpunkt befindet. Sein Turm hat sich am Königsflügel verlaufen und ist in einem Käfig aus eigenen und feindlichen Bauern gefangen. Praktisch mit einer Figur mehr kann sein Gegner nach Belieben schalten&walten. Ende. Fini. 0:1. Bloß jetzt kein Spruch klopfen, denke ich. Der Spruch kommt dann von ihm. "Das war`s. Ich höre mit Schach auf und gehe mit Norbert Golf spielen." Nur die Aussicht auf ein zügiges Heimkommen hält ihn davon ab, im Hotel ein Massaker zu veranstalten – oder zu golfen. Es bleibt zum Glück noch Zeit, uns von Volker zu verabschieden (was uns letztes Jahr in Halle nicht gelang). Auf dem Rückweg nimmt Denis aber bereits wieder vom Massaker und dem Golfsport Abstand und wir schmieden bereits erste Pläne in Bezug auf die kommende Saison. Dann auf ein Neues in Frankfurt, oder?