Deutschland-Cup in Wernigerode

Es ist Herbst und es ist Ende September/Anfang Oktober und es ist eine schöne Zeit, in den Harz zu fahren. Seit nunmehr im fünften Jahr findet in Wernigerode der sogenannte Deutschland-Cup statt und das Orga-Team um den Deutschen Schachbund hat dazu eingeladen. Dieses Jahr fanden sich erneut 154 Teilnehmer ein, also genau so viel wie das Jahr zuvor. Die Anzahl stagniert also – woran liegt es? Für mich ein kleines Rätsel, denn ich möchte mit diesem Bericht auch die Vorzüge dieses Turniers darlegen. 
 
Ich selbst hatte noch zwei Mitglieder aus dem Verein bemüht, ebenfalls den Spaß mitzunehmen, aber ohne Erfolg (Ja, And. und Mat., Ihr Spalter seid gemeint. Siehe auch http://www.youtube.com/watch?v=lYePPtRE9eQ  Minute 8:13 bis 8:27). 
 
Das Wetter war natürlich wieder einmal überragend für Anfang Oktober und der Spielsaal selber mit seinen Art „Kristall-Leuchtern“ erzeugen besonderes Spielflair. 
 
Doch dieses Turnier besticht auch durch den Zeitplan und das Rahmenprogramm und die Stadt und die Region selber. Wernigerode, sich selbst als „bunte Stadt im Harz“ bezeichnend, empfinde ich als sehr schön und es gibt Einiges zu sehen und zu erleben. Zumindest kein Wunder, dass ich bereits zwei Mal dort meinen Urlaub verbracht habe. Das Orga-Team verbindet das Turniergeschehen schlicht mit Urlaub und bietet ein Rahmenprogramm mit Ausflügen an und auch viel Zeit. Denn es wird – bis auf einen Tag – nur eine Partie am Tag gespielt und genau DAS empfinde ich so positiv an dem Turnier. Man spielt um 10 Uhr (9 Uhr wäre mir sogar noch lieber, aber ich denke, dann ziehe ich den Zorn von 87% aller Schachspieler auf mich.) seine Partie und hat danach Freizeit. Es ist also bei weitem nicht so stressig wie die Ramada-Turniere, wo man im Zweifel nach einer kurzen Pause gleich zur nächsten Partie eilt. Hinzu kommt, dass der Samstag fast komplett frei ist. Am späten Nachmittag findet „nur“ das traditionelle Blitzturnier der Harzsparkasse statt, natürlich professionell durchgeführt vom gleichem Orga-Team. 
 
Somit bleibt genügend Zeit für Entspannung und Ruhe und von Hamburg-Fischbek aus ist der Harz wirklich nicht weit. 
 
Im nächsten Jahr findet der Deutschland-Cup erneut statt und ich kann es den Mitgliedern dieses Vereins nur empfehlen:
 
– professionelle Organisation
– sechs Runden Schachturnier in der passenden Leistungsklasse
– ausreichend Zeit für andere Dinge
– schönes Hotel, schöne Stadt, zig Ausflugsziele und Sehenswürdigkeiten
– Rahmenprogramm durch die Turnierleitung
 
Was mögen die Gründe sein, dass dieses Jahr mit 154 Teilnehmern nicht eine größere Anzahl von Schachspielern angelockt werden konnte? Ich vermute, dass es Menschen in der Republik gibt, denen Harz und Wernigerode herzlich wenig sagt. Obwohl hier man gegenhalten könnte, dass das Orga-Team hier einige Werbung betreibt, um Nicht-Wissen zu vermeiden.
 
Ich denke, dass der primäre Grund der Geld- und Zeitaufwand sein könnte. Letztendlich musste man dieses Jahr drei Tage Urlaub nehmen und für fünf Tage ein Hotel beziehen. Hier mag es günstigere Lösungen geben, aber Wernigerode ist in diesen Tagen stark ausgebucht. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Spieler eine Sonderrate inklusive Frühstück erhalten. Dieses Geld sollte man schon investieren können.
 
Nun aber zum Turnier und damit zu den Erfahrungen des alleinigen Fischbeker Chronisten. Kurzum, es begann mies, wurde noch mieser und am Ende wurde es dann gut. Aber der Reihe nach. 
 
Um ein Turnier zu gewinnen, bedarf es nicht unbedingt der spielstärkste Teilnehmer zu sein. Es mag reichen, in den Stellungen abzuklammern, um dann überzogene Gewinnversuche der Gegner auszunutzen. So in meiner ersten Partie gegen den späteren Gruppensieger. Ohne Ambitionen auf „mehr als Ausgleich“ spielend, stand mein Gegner bis kurz vor dem Endspiel unter Druck, aber wenn die Stellung halt keine Schwächen hat, sieht der Computer mich auch nur minimal (bis 0.30 Punkten) im Vorteil. Dann ignorierte ich eine Bauerngabel, um einen „tödlichen“ Bauernvorstoß zu unternehmen. Leider wurde mein tollkühner Versuch nicht belohnt. Dann noch einen ungenauen Zug und ich erhielt eine Verluststellung. Dass mein Gegner kurz danach noch überheblich spielte und seine Stellung verdarb, habe ich nicht gesehen. 
 
Leider musste ich dann zuschauen, wie mein Gegner die Stellung mit Mehrfigur geraume Zeit nicht verwerten konnte, bzw. von einfachsten Zügen Abstand nahm, aber eine Mehrfigur ist eine Mehrfigur und am Ende verlor ich doch. Und mein Frustfaktor war hoch. 
 
Meine gewonnene Partie in der nächsten Runde tröstete mich nicht wirklich. Hier fand mein Gegner (ausnahmsweise) in einer ausgeglichenen Stellung den einzigen Verlustzug, bzw. ich konnte mittels eines klassisch ausgeführten taktischen Schlages der Überlastung, Ablenkung und einer finalen Doppeldrohung schnell gewinnen.
 
Indes ging es mir in diesen Tagen nicht wirklich gut, latente Kopf- und Rückenschmerzen führten zu mehrfacher Einnahme von Arzneimitteln, aber für die Runde drei erfolglos. Trotz kurzem Schlafes und Ibuprofen 400 erwischte mich ein Migränieanfall während meiner Partie. Für diejenigen, die so etwas nicht kennen: Da helfen keine Schmerzmittel mehr. Die Schmerzen werden so stark, dass dies massiv auf den Magen wirkt, so dass es bei mir nach 30 bis 60 Minuten zum Erbrechen führt. Von diesem Zeitpunkt war ich geschätzt nur noch 15 Minuten entfernt, als mein Gegner mein Remisangebot akzeptierte. Grundsätzlich Danke, aber Remis wollte ich nicht spielen.
 
Extrem dankbar war ich für den Ruhetag am Samstag, wo mich nur das Blitzturnier der Harzsparkasse erwartete. Ich hatte es kurz in Erwägung gezogen, dieses nicht zu spielen, da ich immer noch ein Ziehen im Kopf und im Rücken bemerkte. 
 
Den Samstag verbrachte ich dann als Volltourist in Wernigerode und freute mich über meine nichtschachlichen Aktivitäten bei bestem Wetter. 
 
Zum Blitzturnier fanden sich 63 Teilnehmer ein und es wurde mit 3 Minuten pro Spieler/Partie plus 2 Sekunden Inkrement gespielt. Also, ein einfaches „Über-die-Zeit-heben“ geht dann nicht, was ich grundsätzlich gut finde. Auch wenn es in besseren oder Gewinnstellungen eine effektive Methode ist, zu gewinnen.
 
Von Gewinnen war ich indes zu Anfang etwas entfernt, als ich in Runde 2 und 3 des 11-rundigen Turniers kläglich spielte und 1,5 Punkte abgab. Danach aber kam ich in Fahrt und holte Sieg um Sieg bis ich in der vorletzten Runde gegen den späteren Turniersieger spielte. 
 
Ich möchte erzählen, dass ich ihn völlig überspielt habe, aber dann mich schön in ein Selbstmatt (Turm und zwei Bauern) manövrierte. Dies war sicherlich schlimm (ist aber auch normal, ist halt nur eine Blitzpartie), hat aber den turniertaktischen Vorteil, dass ich in der letzten Runde nach unten gelost wurde. In Turnieren mit Schweizer System ist es essentiell in der letzten Runde zu gewinnen, um weit nach vorne zu kommen. So erhielt ich auch einen schwachen Gegner, stand schnell auf Gewinn und gewann durch Zeit(!). 
 
Am Ende erreichte ich den hervorragenden dritten Platz, erhielt einen Glaspokal, bzw. gravierte Glasplatte und ein kleines Sachgeschenk und war glücklich.
 
Die darauffolgende vierte Runde bleibt als absoluter Tiefpunkt in Erinnerung. Nachdem mein Gegner die Eröffnung versägt hatte, opferte er die Qualität, für die er gewisse Kompensation erhielt, aber nie wirklich genug, so dass ich schlicht auf Gewinn stand, bis der totale Blackout mich erwischte. Als Schachspieler kennt man die Situationen ja leider oft. Man stellt dann nicht nur die Materialmehrheit ein, nein, der Gegner erhält forciert auch noch Extras dazu – so auch bei mir. Nur zwei Züge später konnte ich einen Bauern nicht mehr halten. Dass ich dann wiederum meine Dame so unglücklich aufstellte, dass mein Gegner sie forciert abtauschen konnte und das Endspiel nun ganz einfach verloren war, zeigt den völligen Konzentrationsverlust meinerseits.
 
Wie enden solche Abende? Richtig, bei einem schönen teuren Essen und… (viel) Wein. 
 
Nach einer schlechten Nacht, einem unausgeglichenem Morgen und mit miserabler Laune trat ich zur fünften Runde an. Hier war aber alles wieder „normal“. Mein Gegner verlor gleich in der Eröffnung einen Bauern und spielte dann die letzten 45 Züge mit dem Rücken zur Wand. Ich musste nur noch eine gewisse technische Genauigkeit vorlegen, um ´mal wieder zu gewinnen.
 
Die letzte Runde stand im Aspekte des Abreisens. So schön die Stadt und das Turnier auch waren, es ging irgendwann alles einmal zuende. 
 
Ich habe nun nicht mitbekommen, was in der anderen Gruppen passierte, kann nur berichten, dass in den oberen Gruppen heftig gekämpft wurde. Hier gab es nur wenige vorzeitige Remisvereinbarungen. 
 
Mein Gegner hatte sich ebenfalls vorgenommen, voll auf Gewinn zu spielen, was aber nicht funktionierte. Bei Beendigung der Eröffnungsphase verriss mein Gegner seine Stellung und ich war fasziniert von einem Bauernopfer und der daraus folgenden Stellung und dem Mattangriff. Der Computer übrigens ist da wesentlich pragmatischer. Er opfert den Bauern nicht und nimmt trotzdem für sich in Anspruch, deutlich besser zu stehen. 
 
So suchte ich das Matt und fand keines, aber es endete in einem völlig gewonnenen Endspiel, wo ich als Schwarzer zwei verbundene Freibauern auf der dritten Reihe hatte. Ach, das Läuferpaar besaß ich auch noch (hehe).
 
Somit konnte ich die letzten beiden Partien gewinnen und dies hievte mich natürlich weit nach oben in die Tabelle. Allerdings wirkten die beiden Verlustpartien dergestalt, dass ich punktgleich mit diversen Spielern war. Irgendwie hatte ich aber die beste Feinwertung, so dass ich auf der feierlichen Siegerehrung im schönen Ratssaal des Rathauses meine Urkunde über den 2. Platz und ein Schachbuch in Empfang nehmen konnte. 
 
Der Rückweg war schnell, problemlos ohne Staus unter Umgehung der A2. Ich hörte auf der Rückfahrt Therapy? („We can cruise down Rober Street all night long. But I think I'll just rape you and kill you instead.“) und Sarah Brightman.
 
Krass? Ja, aber es entsprach 100%ig meiner Stimmung. 
 
Im nächsten Jahr wird das Turnier vom 29. September bis 4. Oktober 2015 stattfinden und ich wünsche und empfehle jedem Mitglied, dies einmal mitzumachen.
 
Denis Schermer